Mühlengeschichte des Mühlendorfs Räbke

Ober­müh­le / Obe­re Papier­müh­le

Aus­zug aus den Publi­ka­tio­nen von Joa­chim Lehr­mann (s. u.):

DerSchun­ter­quel­le am nächs­ten liegt in Räb­ke die Ober­müh­le, ein idyl­lisch gele­ge­ner schö­ner Fach­werk­bau wie aus dem Bil­der­buch — Müh­len­weg 131. Den­noch stammt sie „ihrer Bau­art nach“ nicht aus dem 16. Jahr­hun­dert, wie Klee­berg ver­mu­tet, son­dern ist unter den Räb­ker Papier­müh­len die jüngs­te Grün­dung. Spe­ku­la­tio­nen über eine von Mön­chen gegrün­de­te Vor­gän­ger­müh­le sind wider­legt (s. Lehr­mann, 1994, S. 214ff.). Es war die Päch­ter­fa­mi­lie der Wahn­schaff­schen Mit­tel­müh­le bzw. Mitt­le­ren Papier­müh­le Kanebly/Canebley, die dort ja erleb­te, wie in Räb­ke das Papier­ge­schäft blüh­te und nun danach streb­te, sich nach der Fürst­li­chen Papier­müh­le in einer wei­te­ren Fol­ge­grün­dung der Mit­tel­müh­le selbst­stän­dig zu machen. Um die­se Zeit ver­starb der Papier­ma­cher Jür­gen Cane­b­ley, der den Bau bereits begon­nen hat­te, und es ist bewun­de­rungs­wür­dig, wie den­noch sei­ne Wit­we Anna Marie im Jah­re 1708 den Bau die­ser neu­en Papier­müh­le vor­an­trieb. Sie wur­de nun „das ers­te Haus“ unter der Quel­le.

Die Lage der Müh­le war inso­fern recht güns­tig, als es nie an rei­nem und kla­rem Spring­was­ser, „dem für­nehms­ten Mit­tel zur Ver­fer­ti­gung guter Papie­re“ (Fabri­ka­ti­ons­was­ser) fehl­te, wor­auf ja die Papier­ma­che­rei beson­ders ange­wie­sen war. Dar­um wur­de das hier gefer­tig­te Papier gut bezahlt.

Nach­tei­lig war die Ent­fer­nung des Bei­geschirrs zur Lum­pen-Vor­zer­klei­ne­rung, wel­ches einen eige­nen Gesel­len erfor­der­te ; dann der häu­fi­ge Was­ser­man­gel, der in „tro­cke­ner Zeit nur 2, höchs­tens 3 Loch brau­chen ließ.“

Die Wit­we Kane­b­ley soll­te sich ihres neu­en Besit­zes nicht lan­ge freu­en. Sie hat­te offen­bar kei­ne genü­gen­den Mit­tel, nicht ein­mal zur Voll­endung des Bau­es. Wie es scheint, hat der Forst­meis­ter und Amt­mann Dani­el Köh­ler ihr das nöti­ge Geld vor­ge­schos­sen. Jeden­falls hat er die Bau­ar­bei­ten als­bald selbst in die Hand genom­men und 1709 durch den Mau­rer­meis­ter Hecke­wald in Königs­lut­ter zum Abschluss gebracht. Als er 1711 starb, haben sei­ne Erben das Eigen­tums­recht an der Papier­müh­le bean­sprucht und auch vor­läu­fig zur Gel­tung gebracht. Doch wur­de die Wit­we Kane­b­ley nicht ver­trie­ben, son­dern laut eines Ver­tra­ges von 1712 als Päch­te­rin in der Müh­le belas­sen, gegen einen jähr­li­chen Zins von 80 Talern. Als die Köh­ler­schen Erben 1728 die Müh­le an den Hof­rat Dr. Heis­ter Pro­fes­sor medi­cinae pri­ma­ri­us in Helm­stedt ver­kauf­ten, blieb die Fami­lie Kane­b­ley auch noch in der Pacht. 1730 aber klag­te sie die Müh­le von den Köh­ler­schen Erben nach­träg­lich ein, und zwar mit dem Erfolg, dass der Ver­kauf an Heis­ter rück­gän­gig gemacht wur­de. Die­ser muss­te 1733 für 18 000 Taler aufs Neue kau­fen, jetzt von der vori­gen Päch­te­rin, um in unan­ge­foch­te­nen Besitz zu gelan­gen.“

Die Papier­müh­le wird in der Inven­tar­auf­nah­me von 1728 beschrie­ben : „Durch einen gefloch­te­nen Zaun führ­te ein zwei­flü­ge­li­ger Tan­nen­tor­weg mit einer Pfor­te zwi­schen drei eichenen Tor­säu­len auf den Hof. Das Wohn­haus war 16 Ver­bind lang, 9 Ver­bind breit, 2‑mal über­setzt und mit Zie­geln gedeckt. Den Ein­gang bil­de­te eine gebro­che­ne Eichen­tür mit höl­zer­nem Rie­gel und eiser­nen Kram­pen…

Die Wohn­stu­be rechts von der Deh­le hat­te eine Tan­nen­tür mit eiser­nem Hand­griff und Klin­ke, 2 Fens­ter hof­wärts mit je 4 Flü­geln und tan­nen­ein­ge­faß­ten Zar­gen, 1 klei­nes Fens­ter mit Schie­ber nach der Deh­le, einen eiser­nen Ofen mit dop­pel­ten Kachel­auf­sät­zen. Die Wän­de waren mit ver­mal­ten Tan­nen­bret­tern beklei­det ; an ihnen waren fünf Tan­nen­bän­ke ange­na­gelt, auch eine „Hand­quel­le“ (Hand­tuch­brett). Den Boden bil­de­ten Völp­ker Stei­ne.

Dem Hof­rat Heis­ter wur­de durch die geschil­der­ten Umstän­de der Müh­len­be­sitz ver­lei­det, so dass er ihn 1741 der Kam­mer zum Kauf anbot. Die­ser aber ver­ur­sach­te damals schon die Unte­re Papier­müh­le am Her­kling genug Schwie­rig­kei­ten, wes­halb sie das Ange­bot ablehn­te.

„1742 erwarb der erfah­re­ne Papier­ma­cher­meis­ter Johann Chris­ti­an Bor­cherdt das Anwe­sen und beab­sich­tig­te, ein hol­län­di­sches Schnei­de­werk zu instal­lie­ren und das Was­ser­rad zu ver­grö­ßern. Dafür erhielt er 1743 auch die Geneh­mi­gung des Her­zogs Carl I., doch zahl­rei­che sei­ner Müh­len­nach­barn bis hin nach Frell­stedt, in den Akten zusam­men­ge­fasst als „Wahnscha­pen und Con­sor­ten“, waren dage­gen. Es ent­spann sich sogleich ein an Facet­ten kaum zu über­bie­ten­der Müh­len­krieg. Bei einem des­sen Höhe­punk­te zogen sei­ne Wider­sa­cher nachts im Fackel­schein und mit Äxten bewaff­net zur Ober­müh­le und schlu­gen das neue Was­ser­rad in Stü­cke.

Gleich­wohl ist es Bor­cherdt gelun­gen, sein Geschäft in die Höhe zu brin­gen, wie anhand der gro­ßen Zahl sei­ner hoch­wer­ti­gen Papie­re zu erse­hen ist. Nicht weni­ge ver­sah er zwar mit sei­nen und den her­zog­li­chen Initia­len, auch schon mal mit dem Schrift­zug „RAEBCKE“, doch mit abge­wan­del­ten hol­län­di­schen Was­ser­zei­chen­mo­ti­ven. Damit woll­te er zum Aus­druck brin­gen, dass sei­ne Papie­re qua­li­ta­tiv an hol­län­di­sches Papier her­an­reich­ten – wobei man wis­sen muss, dass die Hol­län­der in jener Zeit das hoch­wer­tigs­te Papier zu fer­ti­gen ver­stan­den. Ent­spre­chend heißt es von sei­ner Fabri­ka­ti­ons­stät­te schon zum Jahr 1743, sie „sei als eine neue, dem Lan­de sehr nütz­li­che Fabri­que anzu­se­hen, weil er so schö­nes beson­de­res und gro­ßes Schreib- und Druck­pa­pier zu machen weiß, wel­ches sich im gan­zen Lan­de nicht hat fin­den las­sen”.

Mit gro­ßen Kos­ten muss­te des­halb in der Ver­gan­gen­heit Papier aus Sach­sen und ande­ren Län­dern her­bei geschafft wer­den. Den Bor­cherdts ging es wirt­schaft­lich gut. Der Sohn Hein­rich Chris­ti­an erwarb auch noch die unter ihm lie­gen­de Mahl­müh­le. Es folg­ten Schwie­ger­sohn Wie­se­ner für eine Über­gangs­zeit, und dann der Sohn.

1813, wäh­rend der Befrei­ungs­krie­ge vom Joch Napo­le­ons, wur­de die Papier­müh­le von Johann Wil­helm Schar­schmidt von der Mit­tel­müh­le für 2.700 Taler in Gold erwor­ben. Damit ver­ei­nig­te er die Räb­ker Papier­in­dus­trie in einer Hand. Die soge­nann­te Klap­per­müh­le, unter­halb genann­ter Mahl­müh­le Nr. 93, wur­de jetzt nie­der­ge­ris­sen, ihr wüs­ter Platz an die Gemein­de abge­tre­ten und der Mühl­gra­ben zu Gar­ten­land gemacht.

Sein Sohn Carl Wil­helm Schar­schmidt führ­te fort­an den Betrieb, der gar mit der Bezeich­nung „Hol­län­di­sche Papier­müh­le“ bezeich­net wur­de. Auch fin­det sich hoch­wer­ti­ges Velin­pa­pier in sei­ner Fer­ti­gungs­pa­let­te.

Doch Carl Wil­helm Schar­schmidt wur­de schon früh ein Opfer der Aus­zeh­rung (Schwindsucht/Krebs), wes­halb 1846 der Ver­kauf an den Papier­fa­bri­kan­ten Leu­nig erfolg­te, der noch eine Zeit­lang Maku­la­tur­pa­pier und Stroh­pap­pen zu Buch­de­ckeln und für Schach­tel­ma­cher fabri­zier­te, bis die Müh­le 1865 ver­kauft und zur Mahl­müh­le umge­baut wur­de.

Seit 1909 war sie in Bert­rams Besitz. Ein ober­schläch­ti­ges Was­ser­rad mit einem Durch­mes­ser von sechs Metern erzeug­te ein ordent­li­ches Dreh­mo­ment, das bei aus­rei­chen­der Was­ser­men­ge eine hin­rei­chen­de Leis­tung erziel­te. Eigen­tü­mer der Müh­le war bis in die spä­ten 50er Jah­re des 20. Jahr­hun­derts Herr Nagel und danach sei­ne Erben. Er ver­pach­te­te aus Alters­grün­den im Febru­ar 1952 samt Stal­lun­gen und Vieh an den Müh­len- und Säge­werks­be­sit­zer, den Mül­ler­meis­ter Hel­mut Kam­mel. Aber auch die­se Zeit als Mahl­müh­le war bald vor­bei. Die obe­re Papier­müh­le hat ihren Betrieb als Mahl­müh­le lt. dem Bericht von Hans-Wer­ner Kam­mel (Rek­tor in Flech­torf und Sohn des Betrei­bers Hel­mut K.) 1962 end­gül­tig ein­ge­stellt. 1965 wur­den auch hier Was­ser­rad und Mahl­werk aus­ge­baut.

In den Jah­ren von 1964 bis 1972 befand sich auf dem Müh­len­hof die letz­te Schä­fe­rei in Räb­ke, sie hat­te zeit­wei­lig die Grö­ße von 300 Mut­ter­tie­ren.

Heu­te ist die Ober­müh­le im Besitz der Fami­lie Möl­le. Die Gebäu­de wur­den in den spä­ten Jah­ren des letz­ten Jahr­hun­derts von dem Bau­un­ter­neh­mer Gus­tav Möl­le wie­der her­ge­rich­tet.