Mühlengeschichte des Mühlendorfs Räbke
Mittelmühle als Senfmühle
Ass.-Nr. 87
Die Mittelmühle als „Senffabrik Räbke“
1. Senffabrik des Hugo Dien
Der Kaufmann Hugo Dien aus Schöningen hatte bereits 1859 geplant, dort eine Senffabrik anzulegen. Die Realisierung aber erfolgte ca. 1868 in Räbke, indem er hier die Schaarschmidtsche Papierfabrik erwarb und diese recht vielseitig umgestaltete. Schaarschmidts Dampfmaschine und Kesselanlage arbeiteten nun in einer Holz- und Steinmühlenbranche — letztere zu Düngezwecken, während man momentan zu Diens Holzmüllerei nur sagen kann, dass es für Holzmehl schon damals eine sehr vielseitige Verwendung gab : von der Einstreu bei der Tierhaltung über Füllstoffe in der Papier- und Pappenindustrie bis hin zu solchen in der aufkommenden Chemieindustrie (z.B. Linoleum).
Von Diens Holz- u. Steinmüllerei zeugt noch ein eingemauerter Mühlstein.
Erwähnt wird jetzt auch der 12 bis 15 m hohe Schornstein, ein mächtiges kegelförmiges Kaliber, der neuerdings das Landschaftsbild prägte. Aber der „Fabrikant“ Hugo Dien betrieb zu alledem hier seine schon erwähnte „Senffabrik“ in größerem Stil.
Immerhin findet sich das gesamte Anwesen unter eben dieser Bezeichnung „Senf-Fbr.“ auch in der offiziellen Räbker Kartendarstellung jener Zeit.
2. Senffabrik und landwirtschaftlicher Betrieb der Familie Lampe
Gekürzter Bericht aus der Räbker Chronik — Verfasser Otmar Lampe
DieVorgeschichte bis zum Jahr 1900 entnimmt der wirklich interessierte Leser dem ausführlich gehaltenen Buch „Geschichte der Papiermühlen zu Räbke“, Seite 141–181, geschrieben von J. Lehrmann. Ich setze voraus, daß jeder Heimatfreund und Ortshistoriker im Besitz dieser wertvollen Schrift ist.
Einer Eintragung im Militärpaß meines Großvaters Albert Lampe ist zu entnehmen, daß dieser, der zwei Jahre im Braunschweigischen Infanterie- Regiment Nr. 92 gedient hatte, sich pflichtgemäß am 16.II.00 beim zuständigen Bezirksfeldwebel meldete, um die Verlegung seines Wohnsitzes von Timmerlah nach Räbke anzuzeigen. Verursacherin dieses Ortswechsels war eine Tante des Großvaters, die, Besitzerin einer Konservenfabrik in Braunschweig, inzwischen verwitwet und sicher recht wohlhabend, meinen Großvater, damals 32 Jahre alt und frisch verheiratet, für ihren Plan gewinnen konnte.
Es war der Anblick eines seit langem vernachlässigten und verwahrlosten Resthofes. Der Stall uralt und baufällig, in der Mühle regnete es bis ins obere Stockwerk und das Hausdach war ebenfalls reparaturbedürftig. Diese Mängel wurden noch übertroffen von dem in drei Jahrzehnten erfolgten Verkauf großer Teile der dazugehörenden Ackerfläche. Die Familie des Kaufmanns Hugo Dien aus Schöningen, durch Kauf Nachfolger der Papiermüller-Familie Schaarschmidt geworden, hatte von der Substanz gelebt. (60 Jahre danach nannten erfolgreiche Politiker einen Vorgang wie diesen „Gesundschrumpfung“.)
Die erwähnten Mängel waren meinem Großvater selbstverständlich schon seit einer vorausgegangenen Besichtigung bekannt, die neue Wortschöpfung nicht. Jedenfalls machte er sich unverzagt an die Arbeit, beginnend mit der Instandsetzung einer Wohnung. Zimmer waren genügend vorhanden, denn die bisher noch im Haus lebende Frau Laura Dien war zu ihrer Tochter gezogen. Er nahm die Bestellung der ihm gebliebenen 25 Mrg. vor bzw. schickte den übernommenen Gespannführer aufs Feld.
Der Acker am Bärenwinkel war schon mehrere Jahre nicht bearbeitet worden und mit Brennesseln bewachsen, über die er gerade noch hinwegsehen konnte. Zwischenzeitlich mußte er mehrfach zurück nach Timmerlah um noch dort befindliches Inventar mit der Eisenbahn nach Frellstedt (Bahnhof) zu senden, so auch die Möbel. Auch Pferd und Ackerwagen nahmen mit einigen Fahrten am Umzug teil. Noch im ersten Räbker Jahr trafen meine Großmutter und mein Vater hier ein und in den folgenden Jahren wurde die Familie durch eine Schwester und zwei Brüder vergrößert.
Nun ist noch die Mühle zu erwähnen, die auch auf ihre Wiederbelebung wartete. Von dieser Sache verstand mein Großvater gar nichts, vielleicht hatte er schon einmal das Innere einer Mühle gesehen, vielleicht auch nicht. Wie der Leser des am Anfang erwähnten Buches von Joachim Lehrmann weiß, hatte der 1886 verstorbene Hugo Dien die Papiermühle in eine Senfmühle verwandelt und die zur Herstellung von Senf erforderlichen Geräte und Einrichtungen beschafft und eingebaut, die noch viereinhalb Jahrzehnte ihrer Arbeit verrichten sollten, natürlich nicht im Schichtbetrieb, sondern jeweils nach Bedarf.
Der Großvater fand den erforderlichen Fachmann in Räbke : Friedrich Mosel, ein entfernter Verwandter der Laura Dien, hatte bereits für diese gearbeitet und zögerte nicht, sein Wissen und Können „einzubringen“ bzw. meinem Großvater zu vermitteln.
Somit lief die Produktion an. Eine Reihe von Abnehmern, „Tante Emma-Läden“ wie sie in heutiger Überheblichkeit genannt werden, war sicher noch vorhanden und neue Kundschaft, auch Großhändler, waren gewonnen. Der Verkauf von Tafelsenf erfolgte in Holzfässern unterschiedlicher Größe und die Auslieferung fand im Umkreis von etwa 15 km mit Pferd und Wagen statt.
Abnehmer in größerer Entfernung wurden mit der Eisenbahn beliefert. Bald wurde die Haltung eines dritten Pferdes unumgänglich, die nach und nach vergrößerte landwirtschaftliche Betriebsfläche brauchte das volle Gespann (d. h. zwei Pferde) wie auch die volle Mitarbeit der gesamten Familie.
So lief nun der Betrieb über die folgenden Jahre weiter, 1914 wurde ein neuer Stall gebaut, dann kehrte mein Vater aus dem I. Weltkrieg zurück, heiratete, ich wurde geboren, Albert Lampe sen. setzte sich zur Ruhe, Albert Lampe jun., mein Vater, übernahm 1936 unseren Hof, den später ich von 1964 bis 1993 bewirtschaftete.
Heute liegt der Hof und seine weitere Entwicklung in den Händen von Axel und Sandra Kanitz, meiner Tochter.
Durch Kauf und Pacht wurde bis heute eine Betriebsgröße von 74 Morgen erreicht, die Mühle jedoch im II. Weltkrieg stillgelegt.